DIE BUDDENBROOKS

Auf über tausend Seiten wird der Leser Zeuge des Verfalls einer Familie. Der Abstieg einer stolzen Kaufmannsdynastie, verkannte Söhne, unglückliche Töchter und das Scheitern an Geld und bürgerlichen Ideale sind Thema des 1929 erschienenen Romans «Buddenbrooks» mit dem Untertitel »Verfall einer Familie« des 26-jähren Thomas Mann. Das Werk gilt vielen als der deutsche Gesellschaftsroman schlechthin. Ein Klassiker, der seinem Autor 1929 den Nobelpreis für Literatur bescherte. Weltruhm, internationaler Bestseller, Pflichtlektüre. Wer Thomas Mann sagt, denkt die «Buddenbrooks» automatisch mit. Der Roman erzählt vom allmählichen, sich über vier Generationen hinziehenden Niedergang einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie und illustriert die gesellschaftliche Rolle und Selbstwahrnehmung des hanseatischen Grossbürgertums zwischen 1835 und 1877. Das Bild, das der Autor zeichnet, ist kein Postkartenidyll einer Hansemetropole, sondern das einer Stadt, in der Tradition und Moderne nur schwer miteinander zu versöhnen sind. Dieser Widerspruch spiegelt sich auch in jeder einzelnen Figur im Roman. NICHTS IST SO, WIE ES ZUNÄCHST SCHEINT. Thomas Mann legt den Grundstein dieser Skepsis schon in der Anfangsszene. Es ist ein normaler Donnerstag im Oktober 1835. Die Familie Buddenbrook trifft sich traditionell zu einem späten Mittagessen. «Man saß auf hochlehnigen, schweren Stühlen, speiste mit schwerem Silbergerät schwere, gute Sachen, trank schwere, gute Weine dazu und sagte seine Meinung. Man war bald bei den Geschäften und verfiel unwillkürlich mehr und mehr dabei in den Dialekt, in diese behaglich schwerfällige Ausdrucksweise, die kaufmännische Kürze sowohl wie wohlhabende Nachlässigkeit an sich zu haben schien und die hie und da mit gutmütiger Selbstironie übertrieben wurde.»

Der propere Schein trügt. Man ahnt schon den schleichenden Niedergang. Das neue Haus ist von einer Familie übernommen worden, die, einst so glänzend wie die Buddenbrooks, wirtschaftlich ruiniert, das Feld räumen musste. Johann und seine Familie sind fest entschlossen, es besser zu machen. Sie entscheiden sich fortan immer wieder für das ökonomisch Gebotene und scheitern. Zum Beispiel drängt Jean Buddenbrook seine Tochter Tony in eine Ehe mit dem zwielichtigen Kaufmann Grünlich, der später bankrottgeht. Jean weigert sich, Grünlichs Schulden zu begleichen, was die Ehe scheitern lässt, und Tonys Ruf schädigt. Senator Thomas Buddenbrook, das spätere Familienoberhaupt, tätigt riskante Investitionen wie den Kauf einer Getreideernte «auf dem Halm», die durch einen Hagelschlag vernichtet wird. Diese Fehlinvestition führt zu erheblichen finanziellen Verlusten und belastet die Firma schwer. Clara, das vierte Kind von Jean und Elisabeth Buddenbrook, verliert ihre Mitgift vorzeitig an ihren Mann Tiburtius, was die finanzielle Lage der Familie weiter verschlechtert. Ausserdem verlieren die Buddenbrooks 20’000 Taler durch den Konkurs eines Geschäftspartners, wodurch sich die wirtschaftliche Situation weiter destabilisiert. Zum Schluss wird die Firma der Buddenbrooks aufgelöst, da sie nicht mehr rentabel ist. Dies markiert den endgültigen wirtschaftlichen Niedergang der Familie. Die Schuldenproblematik der Buddenbrooks zeigt sowohl den finanziellen Verfall der Familie als auch die moralischen und gesellschaftlichen Spannungen zwischen Tradition und Modernisierung. Sie verdeutlicht den Übergang von einem patrizischen Bürgertum zu einer kapitalistischen Gesellschaft, in der Werte wie Ehre und Verantwortung zunehmend dem Profitstreben weichen.

Ein anderer Übergang hat sich am Dienstag im deutschen Bundestag manifestiert. Durch eine in der letzten Woche getroffene Einigung von Union, SPD und Grünen erhöht sich der haushaltsplanerische Handlungsspielraum der künftigen Regierung auf 1,7 Billionen Euro. Das geht aus Berechnungen von Wirtschaftsexperte Tobias Hentze für das Institut der deutschen Wirtschaft hervor, über die das Handelsblatt berichtet hat. Kritiker befürchten, die Aufhebung der Schuldenbremse habe signifikante Nachteile für den Deutschen Bürger. Die Neuverschuldung droht erhebliche Kosten für Staat, Unternehmen und Privathaushalte zu verursachen. Gleichzeitig stellen Oppositionsparteien das Vorgehen infrage, ob die Grundgesetzänderung zur Schuldenaufnahme demokratisch legitim ist, da sie noch mit den alten Mehrheiten vor der Wahl beschlossen wird. Vor allem Oppositionsparteien bezeichnen das Vorgehen als «üble Täuschung», um die neuen Kräfteverhältnisse zu umgehen. Parteipolitisch zeigt sich der Übergang in einer Linkswendung ehemals bürgerlich-konservativer Parteien, wohingegen Amerika aufgrund der letztjährigen Wahlen eine Wendung nach rechts vollzogen hat.

In der Folge hat sich für die Vereinigten Staaten die « Grosse Erzählung» verändert. Plötzlich werden die Grenzen geschlossen, wird im Namen der Deregulierung ein «Department of Government Efficiency» (DOGE) ins Leben gerufen, wird in einem Dekret beschlossen, dass die Identität eines Menschen künftig nur noch mittels der Geschlechtszellen definiert werden soll. Ausserdem ändert sich die aussen- und handelspolitische Ausrichtung weg von einer globalen Verantwortung hin zu einer Politik, die insbesondere nationale Interessen bedient und möglichst immer die USA in den Mittelpunkt stellt. Der US-Präsident erklärt den Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation WHO, kündigt das Pariser Klimaabkommen und ernennt den Technologieunternehmer und Investor David O. Sacks zum «AI/Crypto Czar», um die USA zur «Krypto-Hauptstadt der Welt» zu machen. Gleichzeitig werden Plattformen wie Facebook, Instagram und YouTube dereguliert, wodurch zukünftig keine Fakten mehr geprüft werden. Die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten finden ihre Entsprechung im Rücktritt des kanadischen Premierministers Justin Trudeau, in der politischen Ausrichtung Nayib Bukeles, dem amtierenden Präsidenten El Salvadors sowie der Regierung Argentiniens unter der Führung von Javier Gerardo Milei. Eine vergleichbare Situation zeigt sich aktuell in Europa: Der «Progressivismus» verliert in Ländern wie England, Frankreich, Österreich und Ungarn, um nur die wichtigsten zu nennen. Plötzlich treten Namen wie Nigel Farage, Marine Le Pen, Geert Wilders, Giorgia Meloni oder Viktor Orbán ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Allein in Deutschland diskutiert man nach der Aufhebung der Schuldengrenze weiter, ob die «Brandmauer» hält, angeritzt oder schon gefallen ist. Im Unterschied zu Amerika will man sich weiter für die Kriegsführung der Ukrainer engagieren, während der amerikanische Präsident Donald Trump sich gegenwärtig mit Wladimir Putin, dem Präsidenten der Russischen Föderation, über einen möglichen Waffenstillstand austauscht.

Christoph Frei, Akademisches Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
Quentin Massys, 1456/1466–1530
The Money Changer and His Wife
Louvre Abu Dhabi