DER STREISAND-EFFEKT

Wie am letzten Mittwoch, dem 16. April 2025, in fast allen Deutschschweizer Zeitungen zu lesen war, hat Oliver Washington, Kommunikationschef von Bundesrat Beat Jans, dem Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD, die Publikation der Maturitätsarbeit und den dazugehörenden Film einer 19-jährigen Schülerin des Gymnasiums Rämibühl in Zürich verhindert. Die Arbeit handelt von Bundesrat Beat Jans (SP), genauer: von seiner Kommunikation. Aber wer die 19-seitige Arbeit aufschlägt, kann gerade einmal das Inhaltsverzeichnis lesen. Und die Danksagung. Den Rest habe das EJPD schwärzen lassen, schreibt die Schülerin. Die Schülerin hat allerdings nicht nur eine Maturaarbeit geschrieben, sondern auch einen rund halbstündigen Film gedreht. Auch diesen darf man nur in Bruchteilen sehen. Übrig geblieben sind nach der Intervention des EJPD lediglich zwei Szenen. Man kann sie sich in der Ausstellung über die Maturarbeiten an der Kantonsschule Rämibühl auf einem Laptop anschauen. Auf dem Filmplakat steht: «Bundesrat Beat Jans: authentischer Kommunikator oder kalkulierender Schweiger?» So heisst der Streifen. Darunter findet sich die Ergänzung: «Geplant als Analyse von aussen, gelandet mitten im politischen Hickhack. Interview-Rückzug, Rechtsberatung und Machtspiele statt offenem Dialog.» Die Maturarbeit zeige auf, was die politische Kommunikation verbergen wolle. Die Frage scheint erlaubt, was Beat Jans und sein Kommunikationschef zu verbergen haben, dass sie sich dermassen vor der Veröffentlichung einer 19-jährigen Gymnasiastin fürchten. Die im Titel des Films gestellte Frage ist nun jedenfalls beantwortet: Bundesrat Beat Jans und sein Kommunikationsberater Oliver Washington sind keine authentischen Kommunikatoren, sondern vielmehr kalkulierende Schweiger. Ausserdem wird deutlich, dass beide nicht begriffen haben, wie Kommunikation in der Öffentlichkeit funktioniert. Statt etwas gültig zu verhindern, haben sie einen Sachverhalt als ÖFFENTLICHKEITSVERSTÄRKER vervielfacht.

Spätestens seit die US-amerikanische Sängerin Barbara Streisand versucht hat, ein Foto ihres Anwesens an der kalifornischen Küste aus dem Internet entfernen zu lassen, wird der Versuch, eine Information zu unterdrücken, zu zensieren oder zu entfernen, ins Gegenteil verkehrt. Der so genannte STREISAND-EFFEKT bestätigt das soziologische Phänomen, dass der ungeschickte Versuch, eine unliebsame Veröffentlichung zu blockieren, das genaue Gegenteil erreicht, weil er die öffentliche Aufmerksamkeit auf ebendiese Veröffentlichung lenkt und so das Interesse sowie ihre allgemeine Verbreitung fördert. Insbesondere das Internet fasst Zensur als Beschädigung auf und umgeht sie. Das vielleicht prominenteste Beispiel für den widersprüchlichen Effekt, dass Geheimhaltung die Verbreitung vervielfacht, sind die 2010 veröffentlichte WikiLeaks in Zusammenarbeit mit grossen Zeitungen wie «The Guardian», «Der Spiegel» oder «The New York Times», im Wesentlichen eine riesige Sammlung vertraulicher US-Diplomatendepeschen aus den Kriegen in Afghanistan und im Irak. Im Fall WikiLeaks wurde das Zensur-Versagen sogar zu einem globalen politischen Symbol für Informationsfreiheit. Die Selbstsabotage durch Intervention bestätigen auch die Versuche der deutschen Innenministerin Nancy Faeser, Urteile gegen Journalisten und deren Publikationen zu erwirken. Jüngstes Beispiel ist ein Meme eines Publizisten des «Deutschland-Kuriers», der ein manipuliertes Bild im Internet verbreitet hat, auf dem Nancy Faeser ein Schild mit der Aufschrift «Ich hasse die Meinungsfreiheit» hält. Die Doppelbödigkeit der Botschaft ignorierte ein Bamberger Amtsrichter, als er den Verfasser zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilte. Der Fall des Publizisten droht sich nahtlos in ein beunruhigendes Gesamtbild einzufügen. Verfassungsrechtler kritisieren schon seit geraumer Zeit, Deutschland verenge die Grenzen der Meinungsfreiheit systematisch. Dies geschieht vor allem über das Strafrecht. Das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung aus Artikel 5 des Grundgesetzes findet seine Grenzen in den allgemeinen Gesetzen. Will man daher die Meinungsfreiheit einschränken, so erweitert man einfach einige Paragrafen im Strafgesetzbuch oder kreiert neue. Natürlich erweist sich auch hier das Bestreben, die Meinung einzuschränken, als Fehler in der Kommunikation bzw. als STREISAND-EFFEKT. Wer den Namen Nancy Faeser oder den satirischen Internet-Beitrag nicht gekannt hat, kennt ihn jetzt mit Sicherheit. Als eigentliche Pointe ergibt sich so, dass das strenge Urteil aus Bayern die Kritik an Faeser bestätigt. Die Ministerin hätte die Strafverfolgung wegen dieses Delikts ablehnen können, doch das hat sie unterlassen. Lieber nimmt sie in Kauf, dass ihr nun stellvertretend für viele Politiker vorgeworfen werden kann, die Pressefreiheit auszuhöhlen und die Justiz zu benutzen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Und wenn die betroffenen Politiker so weitermachen und die Justiz dabei mitmacht, dann stimmt das irgendwann auch.

Die Vorstellung, dass Verfassungsgerichte politisch neutrale Instanzen sind, die über fast ewig gültige Grundsätze walten, ist natürlich naiv. Es sind politische Player, und je aktivistischer sie agieren, desto mehr werden sie auch politisch bekämpft. Der vorläufig letzte Versuch, die deutsche Demokratie in einen Richterstaat zu verwandeln, findet sich im neuen Koalitionsvertrag von Union und SPD. Dabei sorgt vor allem der Absatz «Umgang mit Desinformation» für Wirbel. Dort findet sich der für viele nicht unproblematische Satz: «Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.» Die staatsferne Medienaufsicht solle deshalb «unter Wahrung der Meinungsfreiheit» «gegen Hass und Hetze» und «Informationsmanipulation» vorgehen. Statt die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu wahren, befürchten Juristen wie Joachim Steinhöfel und Jost Müller-Neuhof eine Ausweitung staatlicher Deutungsmacht durch geplante Verschärfungen bei Volksverhetzung und einer möglichen Strafbarkeit falscher Tatsachenbehauptungen. Auch der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel warnt vor einem Irrweg im Umgang mit Desinformation: Vertrauen könne nicht durch Gesetze, sondern nur durch Glaubwürdigkeit zurückgewonnen werden. Der Staat dürfe nicht beanspruchen, allein im Besitz der Wahrheit zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass die erwähnten Passagen so nicht im finalen Koalitionsvertrag stehen. Auch wenn sich das nicht sofort bemerkbar machen würde: Ihre Umsetzung wäre eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, die den bekannten Rückschlag- oder Umkehr-Effekt zur Folge hätte: Der ungewollte Gegen-Effekt träte ein, das Gegenteil des Beabsichtigten, eine Art Selbstsabotage mit unbekanntem Ausgang.

Christoph Frei, Akademisches-Lektorat, CH-8032 Zürich

Bild:
KI generiertes Bild von Grok